"Das Leben ist schön." Interview mit Jürgen Gessner, STIFTUNG LIFE
Brücken bauen. Hilfe leisten. Engagement zeigen. Die EUROPA nähert sich Myanmar. Mit an Bord: Jürgen Gessner, Gründer der STIFTUNG LIFE. Die betreibt in Yangon das Ärzte-Schiff "Swimming Doctors", mit dem die medizinische Versorgung bis weit ins Land gebracht wird. Bau und Betrieb wird finanziert auch durch Spenden der Gäste von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten. Gessner, gerade an Bord der EUROPA, berichtet im Interview mit dem PASSAGEN BLOG wie das "große Schiff" dem kleinen hilft
Ein wundervolles Land, in dem nicht nur einfache Bedingungen herrschen: Myanmar
.
PASSAGEN BLOG: Herr Gessner, Sie haben sicherlich viele Menschen überrascht, als Anfang Dezember – also kurz bevor die Spendenbereitschaft in der Vorweihnachtszeit gemeinhin den Höhepunkt erreicht – auf der Website der Stiftung Life verkündet wurde: “Es reicht. Keine Spenden mehr. Die Stiftung hat nun genug Geld.” Können Sie das erklären?
Jürgen Gessner: Wir sind alle gepolt auf “höher, schneller, weiter”. Wachstum hat aber auch Nachteile. Unsere eher übersichtliche Organisation kann eine Million Euro gut handlen. Aber das doppelte oder gar dreifache, das würde nicht funktionieren. Wir müssten neue Strukturen aufbauen, vielleicht gar eine Verwaltung etablieren. Und das ist nicht unser Ziel. Noch kann man die Stiftung Life auch als Friends and Family bezeichnen.
Warum ist das wichtig?
Wir verstehen uns als eine Art Freundeskreis. Wir kennen die meisten, die uns Geld geben. Und jeder, der sich in der Stiftung engagiert, handelt und gibt nach seinen Möglichkeiten. Es ist wie ein Hobby. Wir wenden nicht mehr Geld und Zeit auf als jemand, der Golf spielt.
Wie kam die Stiftung Life auf die EUROPA?
Eines unserer Projekte sind die Swimming Doctors. In Myanmar gibt es ähnliche Probleme wie in vielen anderen Regionen der Welt: Wer eine gute Ausbildung hat, den zieht es in die Großstadt. Das führt dazu, dass die medizinische Versorgung gerade auf dem Land kaum noch zu gewährleisten ist. Wir haben ein Schiff bauen lassen, mit dem wir die Praxis zu den Patienten bringen. Die Ärzte an Bord arbeiten drei Wochen und haben die eine Woche, in der das Schiff in Yangon liegt, um für die nächste Reise vorbereitet zu werden, frei. Unterstützt wird unsere Arbeit mit den Swimming Doctors von der EUROPA und ihren Gästen. Durch die Versteigerung der Seekarte am Ende einer Reise und durch Spenden. Manchmal aber auch, indem der Bordarzt Medikamente kurz vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums an die Swimming Doctors weiter gibt. So hilft das große Schiff dem kleinen Schiff.
Ein modernes Schiff, das medizinische Versorgung weit in das Land trägt: “Swimming Doctors 2″
Und finanziert die Behandlung?
Nicht nur. Wir verlangen Geld. 1000 Kyat. Die Menschen sollen selbst einen Beitrag leisten. Es handelt sich allerdings eher um eine symbolische Summe: 1000 Kyat sind knapp ein Euro.
Warum verlangen Sie dann überhaupt Geld?
Wir wollen, dass die Menschen dem was wir tun – auch dem was wir für Sie tun – einen Wert beimessen. Das ist wichtig. Zu der Einsicht kam ich durch ein Erlebnis mit Karlheinz Böhm. Dieser Mensch hat wirklich viel geleistet. Doch bei einem Besuch in einem Dorf sagte man zu ihm, er müsse “seine Schule” reparieren lassen, es regne herein. Da wurde mir klar, wir sollten dafür sorgen, dass sich die Menschen mehr identifizieren.
Wird der Ansatz angenommen?
Die Stiftung Life finanziert den Bau von Schulen. Mehr als 50 haben wir inzwischen errichtet. Wir stellen solche Projekte meist im Rahmen einer Dorfversammlung vor, und ich frage dann: Wer zahlt 1000 Kyat? Und sobald das einer tut, lege ich 5000 daneben. Wir finanzieren die Schulen gemeinsam.
Unterstützt die Stiftung Life vor allem Projekte im Ausland?
Unsere Stiftung ist seit mehr als 20 Jahren im Ausland aktiv: Äthiopien, Südafrika, Philippinen, Myanmar. Da investieren wir eine Hälfte des Geldes, die andere Hälfte in Deutschland. Wir unterstützen die “Tafeln”, finanzieren Integrationsprojekte. Wo genau die eingenommenen Gelder hingehen, kann jeder auf unserer Website sehen: Da machen wir alle Zahlungen transparent in unserem gläsernen Konto.
Vor dem Schiff mit den Ärzten fährt das Lautsprecherboot und informiert die Menschen. Die freuen sich, dass die alte Technik nicht mehr gebraucht wird. Jürgen Gessner macht es glücklich, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben
Auf der Website der Stiftung Life wird für Studentenförderung geworben. Was ist das?
Wir unterstützen viele Studenten mit einem Beitrag von knapp 100 Euro monatlich. Hinzu kommt, dass wir den Studenten in Deutschland einen Mentor vermitteln. So betreut etwa der Professor am Universitätskrankenhaus den Medizinstudenten in Myanmar. Es ist ein eigentlich recht einfaches, aber sehr erfolgreiches Konzept. Und es ist faszinierend, welch intensive Bindungen so entstehen.
Wie kommen Sie mit der Belastung klar, schließlich erleben Sie viel Armut und Elend?
Ich war mit meiner Familie eine Woche in Griechenland, wir haben Freunde besucht. Und ich habe da in den Augen der Menschen sehr tiefgreifende Ängste und Sorgen gesehen. Wenn ich in Myanmar bin, sehe ich Menschen, die vielleicht arm sind, doch sie sind voller Hoffnung. Sie leben nicht im Elend, sie führen nur ein einfaches Leben. Das ist ein wesentlicher Unterschied. In Deutschland verbinden wir mit arm und reich vor allem materielle Werte. Aber das ist eine sehr eindimensionale Sicht der Dinge.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was hat Sie zu dem gemacht, der Sie heute sind?
Ach, es war ganz banal: Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich mehr Geld verdiene als ich brauche. Und ich habe eine Möglichkeit gesucht, mit diesem Geld etwas zu tun. Da habe ich Karlheinz Böhm kennen gelernt. Das hat mein Leben verändert.
Sind Sie der Meinung, dass Einkommen ungerecht verteilt sind?
Es steht mir nicht an, das zu beurteilen. Jeder definiert für sich, was Reichtum ist. Ich messe das nicht in Geld, sondern in Glück und innerer Zufriedenheit. Das kann man durch eine Spende bekommen – allerdings, wer geben will, muss jemanden finden, der nehmen möchte. Es ist wie bei der Begegnung mit einem Mönch. Nicht er bedankt sich dafür, dass man ihm Reis gibt, sondern der Spender sagt Danke, dass der Mönch den Reis annimmt. So entstand die Stiftung Life.
Wasserwelten: Viele Orte Myanmars sind nur per Boot zu erreichen, die schwimmende Arztpraxis ist perfekt
Weitere Infos zu Spendenmöglichkeiten, den Projekten und dem gläsernen Konto finden Sie auf der Website der Stiftung Life. Mehr Stories und Infos zur Weltreise der EUROPA in der Kategorie Weltreise des PASSAGEN BLOGS