Der Atem der Geschichte: die Entdeckung der „Endurance“
Nach vielen erfolglosen Versuchen wurde im März dieses Jahres das Wrack der „Endurance“ gefunden. Bilder zeigen das Schiff des großen Polarforscher Sir Ernest Shackleton wie unversehrt am Meeresgrund der Antarktis liegen. Warum fasziniert uns dieser Fund so? Wir sprachen mit Meereisphysikerin Dr. Stefanie Arndt vom Alfred-Wegener-Institut, sie war an der Suche beteiligt.
Liebe Stefanie Arndt, genau 100 Jahre nach dem Tag, an dem Sir Ernest Shackleton beigesetzt wurde, entdeckt der Tauchroboter Sabretooth in mehr als 3.000 Metern Tiefe das Wrack der „Endurance“. Wie haben Sie den Moment erlebt?
Dr. Stefanie Arndt: Wie an fast jedem Tag war ich auf dem Eis. Die Arbeit an Bord ist auf verschiedene Teams aufgeteilt. Nur das Subsea-Team – verantwortlich für die Unterwasser-Robotik – sitzt die ganze Zeit an den Monitoren, steuert die Operation mit dem Sabretooth und hat so die Entdeckung live mit erlebt. Wir alle anderen wurden später zu einem General Meeting einberufen und erfuhren dann: Das Wrack ist gefunden! Die Stimmung in dem Moment war einfach gigantisch. Freude in allen Gesichtern, wir sind uns in die Arme gefallen, haben einander beglückwünscht. Gleichermaßen war es surreal – zu wissen, dass die Suche nun beendet ist. Richtig berührt hat es mich am nächsten Tag. Unser Schiff war umgesetzt worden, wir arbeiteten auf einer Eisscholle, nur wenige 100 Meter entfernt vom Wrack der „Endurance“. Da erfasste man, was Manson Bound, der Historiker unserer Expedition meinte, als er sagte: „Wir spüren Shackletons Atem in unserem Nacken.“
Viele Versuche, das „am schwierigsten zu ortende Wrack der Erde“ zu finden, verliefen ergebnislos. Shackleton und seine Mannschaft haben die „Endurance“ während einer Antarktis-Expedition im November 1915 aufgeben müssen. Was führte diesmal zum Erfolg?
Die Gründe sind vielschichtig. Einerseits hatten wir ein großes Team an Bord, das sich sehr genau mit der Eislage befasste. Zum Beispiel damit, was zu tun wäre, würde unser Schiff wegen der vorherrschenden Drift die Sinkstelle nicht erreichen können. Dann wäre es mit meine Aufgabe gewesen eine passende Eisscholle auszuwählen, wo dann das Eiscamp und die Operationen stattgefunden hätten. Für die Erfolgsaussichten wäre das sicherlich ein Nachteil gewesen, weil wir auf dem Eis noch wesentlich stärker der Macht der Natur ausgesetzt gewesen wären. Ein wichtiger Baustein unseres Erfolges war, dass wir Glück mit den Eisbedingungen hatten. Unser Schiff konnte in der gesamten „Search Box“ – so wird das entsprechende Suchfeld genannt – sehr gut navigieren, ganz anders als im Jahr 2019 als die „Agulhas II“ wegen der Eislage die Suche abbrechen musste. Zusätzlich hat die Robotik unfassbare Fortschritte gemacht. Der Sabretooth fuhr an einem 15 Kilometer langen Seil, seine Daten wurden im Schichtbetrieb rund um die Uhr ausgewertet. Es war das Zusammenspiel vieler Faktoren, das am Ende zum Erfolg führte.
Sie sind Meereisforscherin am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Was war die Aufgabe der deutschen Wissenschaftler bei dieser internationalen Expedition?
Wir waren vor allem für die Navigationsunterstützung angefragt worden. Zudem wäre es bei einer anderen Eislage es unsere Aufgabe gewesen, vorauszufliegen und Eiscamps zu errichten. Geleitet wurde unser Team von Lasse Rabenstein. Er ist ein ehemaliger Mitarbeiter des AWI, der Drift+Noise gegründet hat, ein Start-Up, spezialisiert auf die Navigation in polaren Bedingungen. Wir hatten zusätzlich ein wissenschaftliches Programm aufgebaut, das es mir ermöglichte, an 17 Stationen auf Eisschollen Probebohrungen vorzunehmen, zu vermessen, auf ihre Schnee und Eiseigenschaften zu analysieren. Ich habe pro Eisscholle ein bis drei Eiskerne entnommen, die wir vor Ort zerschnitten haben. Nach ersten Analysen an Bord, werden diese in wissenschaftlichen Instituten weiter untersucht.
Auf der Rückreise hat das Forschungsschiff „Agulhas II“ noch einen Stopp in Grytviken eingelegt. Was war der Grund dafür?
Wir haben Shackleton eine letzte Ehre erwiesen und ihm – symbolisch – sein Schiff zurück gegeben. Es wurde eine kleine Rede gehalten, Bilder der „Endurance“ präsentiert, die ja in mehr als 3.000 Metern Tiefe liegt, als wäre sie kürzlich erst gesunken. Es waren ergreifende Momente. An seinem Grab wurde mir erst klar, wie sehr auch ich von Shackleton beeinflusst bin. Tatsächlich liegt das Buch über seine Expedition, „635 Tage im Eis“, noch immer auf meinem Nachttisch. Es ist eines der ersten, das ich gelesen habe, bevor ich in die Polarforschung eingestiegen bin. Und in Grytviken auf Südgeorgien, am Grab von Sir Ernest Shackleton, fühlte ich, dass es etwas Besonderes ist, ein Teil dieser großen Polargeschichte zu sein.
Wie war eigentlich ihre Reaktion, als Sie für diese Expedition angefragt wurden?
Haha, ich hatte ich für mich schon entschieden, einen schönen deutschen Winter in Bremerhaven zu verbringen – mit Regen und Sturm. Es sollte der erste sein nach vielen Jahren voller Expeditionen ins Eis. Als es dann aber hieß, ich könne die Expedition „Endurance 22“ begleiten, konnte ich nicht anders als zusagen. Schon der Gedanke, auf den Spuren derer zu sein, die in „635 Tage im Eis“ beschrieben werden, bereitete mir Gänsehaut. Heute bin ich sehr, sehr dankbar, dass ich ein Teil dieser Expedition sein durfte.
Immer wieder begleiten Wissenschaftler des AWI die Antarktis-Reisen mit unseren Schiffen – und berichten über diesen besonderen Lebensraum. Wenn Sie nach „Endurance 22“ an Bord einen Vortrag halten dürften, was wäre Ihr Thema?
Ich finde es wichtig, die Gesellschaft auf solche Expeditionen mitzunehmen und Einblicke in unsere Arbeit zu geben. Gerade in diesen Zeiten ist es mir zudem eine Herzensangelegenheit darzustellen, dass wir in der Wissenschaft – ähnlich wie in der Schiff- und Kreuzfahrt – Schulter an Schulter arbeiten, miteinander, international und interdisziplinär. Das setzt ein Zeichen. Hier haben alle zu dieser Erfolgsgeschichte beigetragen. Selbstverständlich würde ich auch über das Meereis sprechen. Welche Bedingungen finden wir heute vor, womit mussten sich Shackleton und seine Männer vor mehr als 100 Jahren auseinander setzen, und wie wird es hier in 30, 40 Jahren aussehen? Das sind Fragen, für die sich meiner Erfahrung nach, vor allem die Leute interessieren, die in solche Regionen reisen. Sie haben einen großen Wissensdurst, wollen mit neuen Kenntnissen über die Region von Bord gehen. Ich finde es wichtig, dass wir unsere Forschung nicht nur für die wissenschaftliche Community aufarbeiten, sondern an die Gesellschaft weiter geben. Auch darauf freue ich mich.
Die großen Bilder zeigen (von ganz oben nach unten): die „Agulhas II“ im Eis des Weddellmeeres, unsere Interviewpartnerin – Stefanie Arndt – bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf einer Eisscholle, zwei neugierige Kaiserpinguine und eine spektakuläre Drohnenaufnahme des Schiffes im Eis. In ähnlichen Bedingungen sank die „Endurance“ im November 1915
Fotos: Esther Horvath and Falklands Maritime Heritage Trust, Falklands Maritime Heritage Trust and National Geographic, Falklands Maritime Heritage Trust and Nick Birtwistle, Falklands Maritime Heritage Trust and James Blake, Interview und Text: Dirk Lehmann