HANSEATIC nature – ein Schiff wird eingefahren
Wer ein neues Auto bekommt, freut sich auf die ersten Kilometer. Man macht sich mit dem Wagen vertraut, der Motor wird eingefahren, erste persönliche Stücke untergebracht. Wie ist das bei einem neuen Expeditionsschiff? Ein Interview mit den Kapitänen der HANSEATIC nature.
Normalerweise dauert die Übergabe zwischen zwei erfahrenen Kapitänen vier bis fünf Stunden. Man kennt sich, kennt das Schiff, kennt das Fahrgebiet. Man tauscht sich nur über die wichtigsten Vorkommnisse aus, alles andere steht im PC. Doch diesmal ist es anders. Das Fahrgebiet ist vertraut, doch die HANSEATIC nature für beide neu. Schon einige Tage bevor Kapitän Thilo Natke seinen Urlaub antritt, kommt Kapitän Axel Engeldrum an Bord. Immer wieder treffen sich die Kapitäne, die sich im Kommando abwechseln: stehen gemeinsam auf der Brücke, bei den Anlegemanövern nebeneinander auf der Nock, sie tauschen sich nachhaltig aus.
Das moderne Promas-Ruder verbessert die Manövrierfähigkeit
„Grundsätzlich ist ein neues Schiff keine Herausforderung“, sagt Axel Engeldrum und lacht, „wir können alles fahren, was schwimmt.“ Aber im Detail hat jedes Schiff seine Eigenheiten. Die HANSEATIC, auf der sich die beiden bisher abgewechselt haben, kannten sie aus dem FF. Bei der HANSEATIC nature ist alles noch recht neu. So zeigt sie sich sehr manövrierfähig. Während ein normales Ruder einen Einschlag von bis etwa 35 Grad vornehmen kann, dreht das moderne Promas-Ruder bis 65 Grad. Der große Rudereinschlag und die starken Bugstrahlruder sorgen für eine verbesserte Manövrierung beim ersten Schiff der neuen Expeditionsklasse.
Eine Unbekannte ist das Verhalten bei schwierigen Wetterbedingungen. Oder bei Eisfahrten. Hier kommt es nicht nur darauf an, wie der Bug das Eis bricht – also wie das Schiff in das Eis hineinfährt –, sondern auch wie es sich im Eis bewegt – durch das Eis hindurch geht. Schon jetzt zeichnet sich die HANSEATIC nature dadurch aus, dass sie sehr ruhig in der See liegt, und dass ihr im Vergleich zur Vorgängerin doch größerer Rumpf weniger windanfällig ist als gedacht. So weit jedenfalls die bisherigen Fahreindrücke von Kapitän Thilo Natke. Er ist bereits im vergangenen Winter an Bord des ersten Expeditionsneubaus gegangen, da lag das Schiff noch im Baudock, und er ist sehr zufrieden. „Lange Zeit war die HANSEATIC nature für uns vor allem eine Riesenbaustelle.“ Jetzt hat er sich auf der großen, technisch cleanen Brücke langsam eingerichtet. „Es ist aber wie bei jedem größeren Umzug: Noch haben wir nicht alle Kartons ausgepackt.“
Das Sahnehäubchen auf einer langen Kapitänskarriere
Kapitän Natke war von Anfang auch in Planung und Bau der neuen Schiffe involviert. Die HANSEATIC nature sei so geworden, wie er sie sich vorgestellt hat. Größer als ihre Vorgängerin, doch sehr elegant. Auf die Frage, welche Bereiche die Handschrift des Kapitäns tragen, beginnt Thilo Natke – nicht überraschend – mit der Brücke. Deren Layout stammt von ihm. „Es gibt nur noch wenige Knöpfe. Wir arbeiten mit elektronischen Seekarten, mit integrierten Navigations- und Warnführungsystemen. Das Schiff ist nautisch state of the art. Dass ich es in Dienst stellen darf, das ist für mich das Sahnehäubchen auf der Karriere.“ Irritiert hat ursprünglich allerdings, dass die Brücke anfangs kein Steuerrad hatte… Dazu mehr im Video!
Vieles, was auf der HANSEATIC nature verwirklicht wurde, beruht auf langjähriger Erfahrung im Expeditionsbereich. So hat Kapitän Thilo Natke zusammen mit dem Ersten Offizier Alexander Sokacic das Konzept der Ausbootung optimiert, eine Modifikation des Systems der BREMEN. Es ist ein wichtiges Feature, da die HANSEATIC nature nur wenige klassische Häfen anlaufen wird. Jetzt ist der Ein- und Ausstieg auf Deck 3 deutlich vereinfacht. Und schließlich verblüfft der Kapitän damit, dass er einen Bereich intensiv mitgestaltet hat, in dem man sein Wirken wohl am wenigsten vermutet hätte: „Das Hospital. Die Notfallmedizin ist mein Steckenpferd. Wir haben hier an Bord moderne Behandlungszimmer und viel Stauraum für Medikamente. Und auch wenn ich stolz auf das Hospital der HANSEATIC nature bin, selbstverständlich wünsche ich keinem meiner Gäste, es als Patienten je von innen sehen zu müssen…“
Fotos: Susanne Baade, Tor Erik Kvalsvik, Text: Dirk Lehmann