Interview mit der Abenteurerin Silvia Furtwängler zur Expedition Nordwestgrönland mit MS HANSEATIC
Silvia Furtwängler zählt zu den bekanntesten Abenteurerinnen Deutschlands. Sie hat an mehreren hochkarätig besetzten Schlittenhunderennen teilgenommen. Umso mehr freuen wir uns, dass Sie an Bord der HANSEATIC über die Kultur und Lebensweise der Inuit berichtet. Das Schiff soll bei dieser Expedition so weit wie möglich gen Norden vordringen. Ein Interview über das Leben in der Kälte…
Passagen Blog: Eine Reise in den Sommer Grönlands ist dennoch eine Reise ins Eis. Du wohnst mit deiner Familie und einer Meute Schlittenhunde auf einem norwegischen Hochplateau – mit Schnee oft noch im Mai. Was ist das Besondere an einem Leben in der Kälte?
Silvia Furtwängler: „Meute“, haha. Zur Zeit habe ich 30 große Hunde und 10 Jungtiere. Der Vorteil vom Leben in der Kälte ist, dass ich mir keine Gedanken um eine Bikiniauswahl machen muss, denn der See ist ja bis Ende Mai zugefroren. Besonders aber an diesem Leben ist, dass ich bewusster lebe. Ich muss mir mehr Gedanken machen, kann mir keine Fehler erlauben, weil die eventuell große Konsequenzen haben. Wie erfrorene Finger oder nasse Füße bei -30 Grad, weil man im Eis eingerochen ist. Ich habe gelernt, die Naturgewalten so hin zu nehmen wie sie sind – und nicht zu hadern, dass es wieder stürmt, obwohl die Wettervorhersage Sonne angesagt hat. Essen hat eine andere Bedeutung, weil man mitunter zwei Wochen nicht einkaufen kann, ein Salat ist manchmal einfach nicht drin. Und wenn man wieder zum Einkaufen raus kommt, muss man den Salat gut in einer Kühltasche verpacken, allerdings nicht mit Kühlakkus drin, sondern mit Wärmepads, damit Tomaten und Bananen nicht erfrieren auf dem langen Weg mit dem Schneemobil vom Supermarkt nach Hause. Denn mit einem Auto ist es nicht möglich, zu mir zu kommen.
Wie anders ist dein Leben auf der Hardangervidda im Vergleich zu den Regionen Grönlands, die die HANSEATIC bereisen wird?
Es gibt einige Unterschiede. Zwar ist die karge Landschaft in vielen Teilen Norwegens ähnlich. Aber im Gegensatz zu Grönland hat Norwegen viel Grün und viele Bäume. Ein Straßennetz, in Norwegen gut ausgebaut, ist in Grönland kaum vorhanden. Ich frage mich, warum es dort überhaupt Autos gibt, sind die meisten Orte doch nur mit dem Flieger oder mit dem Boot erreichbar. Je weiter man in den Norden Grönlands kommt, desto ursprünglicher wird es. Hier bestimmt nicht die Uhr den Tagesablauf, sondern das Sonnenlicht.
Die indigene Bevölkerung Grönlands umfasst etwa 50.000 Menschen. Die meisten von ihnen wohnen im Westen der Insel, rund 3.500 im rauen Osten und knapp 1.000 im eisigen Norden. Wie unterscheiden sie sich in ihrer Lebensweise?
Auffallend ist, dass der Europäische Anteil an der indigenen Bevölkerung im Westen höher ist als im Norden oder im rauen Osten. Das hat auch Einfluss auf die Lebensweise der Menschen genommen. Im Hohen Norden, Qaanaaq, dürfen bis heute die Narwale nur traditionell gejagt werden, also per Kajak, Quajak. Das Leben verläuft oft noch nach alten Traditionen, besonders in Dörfern mit einfacher Infrastruktur. Nuuk, im Westen, ist für viele nur eine „Container-Stadt“ mit zu stark ausgeprägtem, europäischem Einfluss. Ein Inuit rühmt sich nicht damit, dass er in Nuuk lebt. Meist spielt sich das Leben der Kiaatniut, so nennt sich die indigene Bevölkerung im Westen, am Rande von Nuuk in Sozialwohnungen ab. Im Osten ist der Hauptort Tasiilaq, eine „Stadt“ mit 2.010 Einwohner. Der Ort zeigt ein rasantes Wachstum, wenn man bedenkt, dass hier vor rund 100 Jahren nur 294 Menschen lebten. Und das obwohl die grönländische Verwaltung diese Region etwas vergessen zuhaben scheint. Erst seit 1974 gibt es einen Helikopterlandeplatz. Noch heute kann man Tasiilaq leichter über Island erreichen als von West-Grönland aus.
Die Gesellschaft Grönlands hat sich nicht nur leicht getan mit den „Segnungen“ der Zivilisation. Was sind die Herausforderungen?
Bis heute besteht die große Herausforderung darin, dass sie ihre Identität, ihre Kultur und ihr grandioses Wissen über die Natur nicht verlieren und ihre Traditionen aufrecht erhalten können.
Für die Inuit Grönlands gelten einige Sonderrechte – etwa beim Walfang, bei der Eisbärenjagd. Wie wichtig sind diese Rituale?
Extrem wichtig, sie sind der Fortbestand ihrer eigenen Gesellschaft, sollte das verloren gehen oder ihnen einmal aberkannt werden, werden sie ihre Kultur und ihre Identität ganz verlieren.
Du hast schon an vielen Hundeschlittenrennen teilgenommen. Auch in Grönland ist diese Art der Fortbewegung weit verbreitet. Es gibt aber signifikante Unterschiede zwischen den Gespannen in Grönland und deinen…
Der erste ist: dass in Grönland die Hunde im Fächergespann (nebeneinander wie ein Fächer) eingeschirrt sind, während ich meine Tiere im Tandemgespann einsetze – immer zwei Hunde neben- und hintereinander. Die Grönländer nutzen einen sehr großen Lastenschlitten, auf dem sie sitzen, ich einen Sportschlitten, auf dem ich stehe.
Wer deine Fotos und Filme sieht, deine Bücher liest, hat den Eindruck: Du liebst auch deine Hunde. Die Inuit Grönlands haben da einen etwas anderen Umgang. Wie lässt sich das erklären?
Sie haben einen derben Umgang. Für die meisten Inuit ist der Hund ein Arbeitsgerät mit einem hohen Stellenwert, mehr nicht. Wobei ein Inuit sich darüber auch bewusst ist, dass er ohne die Hunde nicht von A nach B kommt. Zeit für romantische Gedanken ist da fehl am Platz. Sollte ein Hund nicht mehr arbeiten können, ist er schlicht das Futter nicht mehr Wert. Im gewissen Maße habe ich dafür Verständnis. Das ist keine Sport-, sondern eine Lebensgemeinschaft. Deswegen sollte man seine Tiere dennoch mit Respekt behandeln. Es ist aber einiges im Umbruch. Studien belegen, dass sich die Rasse der Grönländer Hunde drastisch dezimiert. So wurden die Inuit jetzt aufgefordert, ihre Hunde zu registrieren, es werden kostenlose Impfungen angeboten. Da auch das auf Jagd gehen mit den Schlittenhunden deutlich zurück geht, nutzen viele Inuits ihre Tiere nun auch vermehrt für Schlittenhunderennen. Das hat den großen Vorteil, dass die Hunde nun einen anderen Stellenwert bekommen. Ich denke in den nächsten Jahren wird sich einiges zu Gunsten der Schlittenhunde in Grönland ändern.
Die HANSEATIC will so weit in den Norden wie es das Eis zulässt. Worauf freust du dich besonders?
Auf die Eiskante! Es ist immer wieder ein unbeschreibliches Gefühl, Ausschau zu halten und zu sehen wie sich das Wasser verändert je näher man der Eiskante kommt.
Reisen mit den Expeditionsschiffen von Hapag-Lloyd Cruises
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