Mit der HANSEATIC inspiration die Great Lakes erkunden: Dr. Wolfgang Grams über deutsches Leben im American Dream
Eine Entdeckungsreise der besonderen Art: Die Great Lakes, weltgrößtes Süßwasserseen-System, sind das Tor zum Mittleren Westen – dieser gilt als Schlüsselregion, um Amerika zu verstehen. An Bord der HANSEATIC inspiration folgt Dr. Wolfgang Grams, Spezialist für Auswanderung in die USA, den Spuren deutscher Traditionen. Ein Interview über Oktoberfeste, Plattdeutsch und Schnippelbohnen.
Lieber Dr. Wolfgang Grams, seit vielen Jahren recherchieren Sie für „Routes to the Roots“ zur Geschichte deutscher Auswanderer in den USA. Eines Ihrer Projekte wurde vom NDR aufwändig begleitet, mit Yared Dibaba als Moderator. Wie wird es für Sie sein, eine solche Reise per Schiff zu unternehmen?
Dr. Wolfgang Grams: Das Projekt, das Sie ansprechen, trägt den Titel „2000 Meilen durch den Mittleren Westen“ – durch Minnesota, South Dakota, Nebraska, Iowa und Illinois. Den Mittleren Westen von See aus zu erkunden, ist auch für mich neu und spannend. Die Ziele dort gehören ohnehin zu den wenig bekannten in den USA, abgesehen etwa von Chicago. Deshalb ist die Neugier, diese vom Wasser aus zu erleben, nochmals größer. Ich habe bisher vom Land auf das Wasser geblickt, jetzt wird es umgekehrt sein. Ich freue mich auf Entdeckungen und neue Wahrnehmungen.
„The Heart of it all“ nennt man die Landschaften und Städte des Mittleren Westens. Die Großen Seen mit ihren Metropolen bilden quasi das Tor dazu. Was zeichnet dieses weltgrößte Süßwasserrevier aus?
In der Tat ist der Mittlere Westen mit seinen Menschen, Orten, Schauplätzen, seiner Geschichte, den Mentalitäten und Lebensweisen für mich die Schlüsselregion, um Amerika zu verstehen. Und die Great Lakes werden mitunter, wenn man sich die Ausmaße dieser Binnenmeere vor Augen führt, völlig zu Recht auch als eine Küste der USA bezeichnet. Die großen Seen waren immer ein überaus wichtiger Siedlungsraum, haben Handel, Kommunikation und Entdeckungen geprägt und sind in der amerikanischen Kulturgeschichte ebenso wie der Westen ein Teil der sogenannten „frontier“. Eine Grenzregion in vielerlei Hinsicht.
Welche Bedeutung hatten die Great Lakes für die deutschen Auswanderer?
Viele sind über die Great Lakes ins Landesinnere gekommen. Der Erie Canal hat New York mit Buffalo verbunden, sein Bau war wie das gesamte Kanalsystem zwischen den Seen und dem Ohio Tal ein zentrales Projekt zur Erschließung Amerikas. Die Ufer waren und sind immer noch geprägt auch von deutscher Einwanderungsgeschichte. Chicago, Milwaukee, Cleveland, Detroit waren Großstädte mit deutschem Leben, ebenso wie unzählige Landgemeinden in Wisconsin, Michigan, Ohio und Illinois.
Es gibt Siedlungen im Gebiet der Großen Seen, die tragen Namen wie Rhinelander, Bergland, Schroder, Tofte, Hanover oder Altoona. Sind das nurmehr Reminiszenzen oder gibt es hier tatsächlich noch „deutsches Leben“?
Oh ja, das gibt es noch. Deutsche Familiennamen weisen darauf hin, ebenso wie Folkore und immer wieder Geselligkeit. Über manches schmunzeln wir, über Oktober- oder Wurstfeste etwa, die hier manchmal wie eine Überdosis an deutscher Tradition anmuten. Aber Community Projekte, Historical Societies, Publikationen, Konferenzen, Gruppen in Social Media, auch Gesangsgruppen oder Zusammenkünfte bei einem hier „ethnic meal“ genannten Treffen mit Schnibbelbohnen oder Grünkohl sind Ausdruck von deutschem Leben. Sie können auf dem Land sogar noch die Sprache Plattdeutsch hören und diverse Dialekte. Zudem ist das Interesse an Familienforschung groß, ich bin ja oft bei Recherchen und Besuchsreisen mit amerikanischen Gästen in Deutschland unterwegs.
Begeben wir uns auf eine Zeitreise: Wann kamen die meisten Auswanderer, wann ebbte die Welle ab?
Es ging bereits im 18. Jahrhundert los. 1683 wurde Germantown in Pennsylvanien gegründet. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Auswanderung in ganz Europa zu einem sozialen Massenphänomen, mit etwa 30.000 Menschen jährlich aus Deutschland um etwa 1840. Im Spitzenjahr 1883 waren es 250.000. Mit der Jahrhundertwende ebbte die Zahl ab. Die letzte große Welle kam dann in den 1950er Jahren, nun auch sichtbar nach Kanada, dort gesamt mit etwa 500.000 Menschen. Nach Nordamerika waren es etwa sieben Millionen. Es ist eigentlich unmöglich, all die Motive zusammenzufassen. Aber Religionsfreiheit, politische Selbstbestimmung, wirtschaftliche Not, Landbesitz, Arbeit, Flucht, Vertreibung, neue Lebensentwürfe, Karriere, Geld und vieles mehr gehörte dazu: Amerika hatte das Streben nach Glück, „the pursuit of happiness“, in seine Gründungsurkunde geschrieben.
Worauf dürfen sich unsere Gäste auf dieser Reise besonders freuen?
Auf zwei Länder in einem grandiosen Naturraum, der auch Raum war und ist für all die Themen, die wir gerade besprechen. Es ist ein Stück Amerika und Kanada, das noch weitgehend unbekannt ist, selten in unseren Fokus kommt und Neues erwarten lässt. Ich glaube, das gilt für verschiedene Interessen, Geographie, Flora und Fauna, Geschichte und Kultur.
Wenn die HANSEATIC inspiration ablegt, auf welchen Moment freuen Sie sich besonders?
Genau auf das: aufs Ablegen und Losfahren und dann unterwegs sein. Auf das Schiffshorn. Und natürlich auch auf das Ankommen nach den Etappen, auf das Leben an Bord, die Crew, die Gäste.
Fotos: Miroslav Dakov, Archiv, Interview: Dirk Lehmann