Expedition Nordwestpassage: MS BREMEN folgt den großen Entdeckern
Der polare Hochsommer gibt einen Weg durch die kanadische Arktis frei, von dem Seefahrer seit Jahrhunderten träumen: die Nordwestpassage. Der Historiker Arne Kertelhein, der die aktuelle Expedition der BREMEN im Kielwasser der großen Abenteurer des 19. Jahrhunderts begleitet, plaudert im Passagen Blog aus dem Bordkästchen.
Interview: Lisa Schönemann
Über dem Kapitän kommt nur Gott. Selbst ungläubige Seeleute akzeptieren das. Ganz real hat das Eis die Macht. Das ist heute nicht anders als zu Zeiten der legendären Entdecker im 19. Jahrhundert. Die Eislage im Polarmeer bestimmt, was möglich ist. Wie die Gäste der BREMEN die Herausforderungen für die großen Seefahrer nachempfinden können, verrät Expeditionsleiter Arne Kertelhein im Gespräch mit dem PASSAGEN BLOG. Der Historiker ist zur Zeit mit dem Expeditionsschiff auf dem Weg ins Eismeer. Seit 15 Jahren bereist der Buchautor jeden Sommer die Eiswelten der Polarregionen, war in Spitzbergen und Grönland, Kanada und Sibirien unterwegs. Diese Reise könnte seine dritte Nordwestpassage werden. So die Durchfahrt gelingt…
PASSAGEN BLOG: Die BREMEN ist von Kangerlussuaq, Grönland, in die kanadische Arktis aufgebrochen. Ob die Durchfahrt der Nordwestpassage möglich ist, hängt von der Eislage ab. Wie sind die Prognosen für die nächste Zeit?
Dr. Arne Kertelhein: Die Eislage variiert von Jahr zu Jahr sehr stark. So gab es schon Passagen, bei denen man auf der geplanten Route keine einzige Scholle mehr sah; aber auch Jahre, in denen eine Fahrt bis nach Cambridge Bay absolut unmöglich war. Wir fahren natürlich im arktischen „Hochsommer“ – zu einer Zeit, in der die Eisbedeckung ihr Minimum erreicht hat. Wir wollen ja durchkommen! Die Eiskarten für den Lancaster Sound sehen für dieses Jahr seit Wochen gut aus. Auch weiter drinnen wird uns das Eis wohl nicht am Erreichen unseres Ziels hindern.
Die BREMEN hat die höchste Eisklasse für Passagierschiffe, ist aber kein Eisbrecher. Wie kann man diesen Unterschied erklären?
Ein Eisbrecher ist ein speziell konstruiertes Arbeitsschiff, das vereiste Seewege offen hält und geschlossene Eisdecken unterschiedlicher Stärke aufbrechen kann. Dies erfordert eine spezielle Rumpfform und sehr starke Maschinen. Die Eisklasse der BREMEN – der höchsten für Passagierschiffe – ermöglicht es dem Schiff von Hapag-Lloyd Cruises, in polaren Gewässern unterwegs zu sein und auch dichte Treibeis-Felder zu passieren. Der Rumpf ist an der Wasserlinie verstärkt. Die Spanten, tragende Bauteile, liegen dichter, um dem Eisdruck Stand halten zu können.
Dem norwegischen Polarforscher Roald Amundsen und seiner Crew gelang von 1903 bis 1906 die erste komplette Durchfahrt der Nordwestpassage. Was zeichnet Amundsen aus?
Roald Amundsen war ein sehr ehrgeiziger Mensch, der seine Unternehmungen stets sorgfältig plante. Nachdem die britische Admiralität seit Beginn des 19. Jahrhunderts Dutzende großer Kriegsschiffe mit Hunderten von Männern auf die vergebliche Suche nach der Nordwestpassage geschickt hatte, entschied sich Amundsen für eine kleine Yacht mit einer siebenköpfigen Besatzung. Dieses wirklich sportliche und entbehrungsreiche Unterfangen war für die erfolgreiche Durchquerung der flachen, unbekannten Gewässer besser geeignet als die groß angelegten Forschungsunternehmen der Briten.
Die BREMEN bewegt sich im Fahrwasser weiterer legendärer Entdecker. Wie beziehen Sie die Geschichte der berühmten Expeditionen in die Reise mit ein?
Wir bieten an Bord viele Vorträge aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen an. Während auf manchen Reisen der Schwerpunkt deutlich auf Natur und Tierwelt liegt, spielt bei einer Nordwestpassage natürlich die Geschichte eine wesentliche Rolle. Deshalb informieren die mitreisenden Experten die Gäste intensiv über die verschiedensten Expeditionen – nicht nur über die des britischen Konteradmirals und Polarforschers John Franklin und des leidenschaftlichen Seemanns Roald Amundsen. Ein Ethnologe bringt den Passagieren außerdem die Kultur und Lebensweise der Inuit näher, welche ja auch schon von den Entdeckern beobachtet und beschrieben wurde.
Bei unseren Landgängen stoßen wir auf die Überreste der spektakulären Expeditionen – seien es die Gräber auf einer Insel oder das Wrack von Amundsens Schiff in Cambridge Bay. Oder ganz aktuell Hat Island, in dessen Nähe kanadische Archäologen dabei sind, John Franklins Schiff „Erebus“ zu bergen. Das nach dem Gott der Finsternis aus der griechischen Mythologie benannte Kriegs- und Forschungsschiff musste im Jahr 1848 von der Mannschaft aufgegeben werden.
Die Reise mit einem Expeditons-Kreuzfahrtschiff unterscheidet sich doch sehr von der Teilnahme an einer der damaligen Expeditionen. Wie vermitteln Sie den Gästen die Strapazen, die die ersten Entdecker auf sich genommen haben?
Ich glaube, dass wir uns heute kaum vorstellen können, was es für die Seeleute körperlich bedeutete, ein Segelschiff durch diese eisigen Gewässer zu führen. Dazu kamen oft unzureichende Ernährung und falsche Kleidung. Die langen Schlittenreisen waren qualvolle Strapazen mit kalten Nächten in vereisten Schlafsäcken. Außerdem war es den Expeditionsteilnehmern oft über Jahre nicht möglich, Kontakt zu ihrer Familie in der Heimat aufzunehmen. Wir zeigen alte Stiche und Fotos, die Kälte und Entbehrungen deutlich machen. Und zitieren aus den Tagebüchern der Entdecker, die eine deutliche Sprache sprechen. Mitunter haben wir Glück und stehen im Schneesturm an den Gräbern von Franklins Männern – das wirkt bei eisigen Wind deutlich nachhaltiger als bei Sonnenschein, klarer Sicht und blauen Himmel.
Was macht für Sie die Faszination des Herzens der Nordwestpassage rund um Somerset Island aus?
Gerade für einen Historiker geht es hier natürlich in erster Linie um das Bewusstsein, in entlegenen Gegenden unterwegs zu sein, welche einst nur von leidenschaftlichen Abenteurern erstmalig befahren wurden. Als ich während meines Studiums die alten Expeditionsberichte las und mir die vergilbten Karten mit neu entdeckten Inseln anschaute, hätte ich mir nicht träumen lassen, jemals selbst in dieser Landschaft zu stehen.
Eisbären und Walrosse, Wale und Rentiere – mit welchem Tier verbindet Sie ein besonderes Erlebnis?
Eisbären sind natürlich sehr wichtig für eine solche Reise. Die meisten Gäste möchten sie einmal in ihrer natürlichen Umgebung auf dem Packeis erleben. Es ist besonders spannend, wenn die Tiere noch nie Menschen gesehen haben und neugierig näherkommen. Im letzten Jahr haben wir eine Mutter mit zwei Jungen auf einem kleinen Treibeisfeld entdeckt: Die kamen schnuppernd bis an den Rand des Eises, um dieses merkwürdige Schiff zu inspizieren.
Fotos: Archiv
Hier finden Sie die Übersichtsseite zu den Expeditionsreisen in die Arktis mit MS BREMEN und MS HANSEATIC.