Philosophen der See: Kapitän Olaf Hartmann zum Thema "SEEKARTE"

Philosophen der See. In diesen „Kapitänsgesprächen“ bitten wir in loser Folge die Kapitäne von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten zum Interview. Dabei geht es um große Themen: Autorität, Verantwortung, Umwelt. Mit Olaf Hartmann, Kapitän der EUROPA, reden wir über Dankbarkeit, die SEEKARTE – und warum Menschen dafür so viel Geld ausgeben

Datum: 02.08.2015
Tags: #kapitänsgespräche #philosophendersee #olafhartmann #seekarte

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Philosophen der See: Ihre Heimat ist das Meer, ihr Arbeitsplatz die Welt. Wir bitten Kapitäne zum Gespräch. Olaf Hartmann ist einer der Kapitäne der EUROPA. Am Abschiedsabend einer Reise versteigert er die Seekarte. Was hat es mit dieser Tradition auf sich?


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PASSAGEN BLOG: Woher kommt eigentlich die Seekarten-Versteigerung?

Olaf Hartmann: Die Versteigerung einer Seekarte zu Gunsten gemeinnütziger Projekte ist eine gute Tradition, die es seit Anfang der 1980er Jahre auf Kreuzfahrten mit MS EUROPA gibt. Es ist ebenfalls gewachsene Tradition, dass der Navigationsoffizier für die allgemeine Organisation, besonders aber für das Einzeichnen der Reiseroute und die Meilenstatistik verantwortlich ist. Verschiedene Besatzungsmitglieder übernehmen die künstlerische Ausgestaltung der Karte mit Motiven, die den Reisezielen entlehnt sind. Alle unsere „Künstler“ machen diese Arbeit in ihrer Freizeit.

Wenn man auf die Brücke der EUROPA kommt, sieht man vor allem viel Hightech, Radar, GPS, Bordcomputer. Braucht man überhaupt noch eine Seekarte?

Für den Nautiker und Seefahrer ist die Seekarte nach wie vor die wichtigste Grundlage der Navigation und deshalb von unverzichtbarer Bedeutung. Im Gegensatz zu den Landkarten ist die Seekarte eine (zylindrische) Mercator-Projektion, die winkeltreu ist und in die ein zu steuernder Kurs als Gerade eingetragen werden kann. Früher waren gute Seekarten ein streng gehütetes Geheimnis, und nur die sogenannten pilots verfügten über deren Informationen oder profunde Ortkenntnisse. Detaillierte Seekarten waren eine wichtige Voraussetzung für das sichere Befahren von Handelsrouten auf den Weltmeeren oder die Begründung einer Seemacht. Heutzutage gibt es an Bord zunehmend elektronische Karten.

Wie muss man mit dem heutigen Wissen um exakte Navigation die Leistung der großen Entdecker bewerten?

Columbus und Magellan haben im Grunde „Fahrten ins Blaue“ angetreten, denn sie kannten den Weg zu ihren Zielen nicht. Annähernd präzise Seekarten gab es nicht; das Wissen und die Technik um die Berechnung der geographischen Länge mit Hilfe eines exakten Chronometers fehlten noch. Die frühen Entdecker waren wagemutige Abenteurer, die ihre Reisen mit ungewissem Ausgang antraten. Mit Blick auf die damalig praktizierte Navigation können wir heute noch immer nicht genau definieren, wo Columbus in der Karibik tatsächlich gelandet ist. Sein eigentliches Reiseziel war bekanntermaßen Indien.


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Beginnt bald ein neues Zeitalter, und die Seekarte fällt ganz weg?

Grundsätzlich werden die Seekarten, wie auch unsere Straßenkarten, noch lange unersetzlich bleiben; lediglich die Darstellung wird es bald nur noch in elektronischer Form geben, also in der Seefahrt entsprechend dem „NAVI“ in unseren Autos. Das ist sehr viel preiswerter und leichter zu aktualisieren.

Durch die Verbindung der elektronischen Karte mit der Satellitennavigation, dem GPS, hat sich die Methode der Ortsbestimmung grundsätzlich verändert. Früher war das Beherrschen der astronomischen Navigation Handwerkszeug für den Nautiker. Ich selbst habe auf See noch viele Jahre die mehrfache, tägliche Positionsbestimmung mittels der Berechnung von Sonne, ausgewählten Fixsternen oder anderen Himmelskörpern durchgeführt. Das GPS hat den Nautiker, wie ich finde, ein bisschen „entzaubert“, da der Umgang mit den modernen Systemen fast kinderleicht und sehr zuverlässig ist und die astronomische Navigation entbehrlich macht.

Allerdings wird auf MS EUROPA die papierene Seekarte (zusätzlich zur elektronischen Karte) noch aktiv verwendet und somit eine „doppelte“ Navigation betrieben.

Sie sagten, dass die Seekarte seit den 1980er Jahren versteigert wird. Gibt es eigentlich eine ungefähre Auflistung der Einnahmen durch diese Versteigerungen?

Nicht nur eine „ungefähre Auflistung“! Die EUROPA ist ein ordentliches Schiff und hat seit ihrer Indienststellung 6.333.821 Euro an Spendengeldern eingenommen. Zusammen mit ihrem Vorgängerschiff kommt sie auf weit mehr als neun Millionen Euro, die für gute Zwecke von unseren Gästen im Zusammenhang mit Seekartenversteigerungen gespendet wurden.

Wie läuft die Versteigerung ab?

Zu Beginn der Reise findet sich zunächst ein Team, das sich um die Ausgestaltung der Karte kümmert. Am Gala-Abschiedsabend, einer eher festlichen Veranstaltung in den letzten Tagen einer Kreuzfahrt, wird die Karte von unseren Matrosen und den beteiligten „Künstlern“ in die EUROPA-Lounge getragen und präsentiert. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde alles vom Navigationsoffizier organisiert; die Versteigerung selbst darf dann der Kapitän übernehmen.


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Es wird dabei viel Geld eingenommen. Wem kommt das zugute?

Durch jede Versteigerung werden diverse soziale Projekte unterstützt, zuletzt in Kooperation mit der Stiftung Life von Jürgen Gessner. Zu Beginn einer Versteigerung machen wir deutlich, wem die Einnahmen zugute kommen. Dies geschieht beispielsweise für die Taifun-Opfer auf den Philippinen, die Erdbebenopfer in Nepal oder die „Tafeln“ bei uns in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Momentan gehen die Einnahmen an ein Hilfsprojekt in Myanmar. Mit den Spenden wird Bau und Ausstattung des Hospital-Schiffes „Swimming Doctors“ unterstützt. Wir zahlen den gespendeten Gesamtbetrag auf das „gläserne Konto“ der Stiftung ein, dort kann jeder Spender im Internet nachvollziehen, wie das Geld verwendet wird.

Hat sich in den vergangenen Jahren das Spendenverhalten verändert?

Ja, deutlich. In den 80er und 90er Jahren gab es eine gewisse Bereitschaft nach außen hin zu zeigen, dass man Gutes tun möchte. Mitunter haben sich die Bieter gegenseitig in die Höhe getrieben. Oft kamen hohe fünfstellige Beträge dabei heraus, und manchmal hat der oder die Meistbietende die Karte zu einer weiteren Versteigerung frei gegeben. Inzwischen geht es eher um Summen von 1.000 bis etwa 5.000 Euro. Zudem beobachte ich immer öfter, dass sich Gäste nach einer Versteigerung an uns wenden – mit dem Wunsch zu spenden.

Sie sprechen viel mit Ihren Gästen. Was sind die Beweggründe für eine Spende?

Unsere Gäste hatten eine gute Zeit an Bord. Sie möchten am Ende der Reise, mit dem Gefühl der Dankbarkeit, großzügig sein und gerne anderen Menschen in Not an ihrem eigenen Glück teilhaben lassen. Die verzierte Seekarte, als ein Unikat einer schönen Reise, steht symbolisch für die eingeworbenen Spenden. Faktisch hat die Karte nur einen ideellen Wert, den aber jeder für sich definieren kann. Gutes zu tun und helfen zu können, macht immer große Freude.


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von: Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)

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