Sommerfrische an der Ostsee: Die ganz und gar erträgliche Leichtigkeit des Seins
Der einfache Luxus einer kurzen Auszeit. Die unspektakuläre Schönheit kleiner, meist backsteinroter Hafenstädte. Die überraschende Perspektive, wenn man Rügens Kreidefelsen vom Meer aus betrachtet. Dazu sehr gutes Essen und ein Glas Champagner – wie wir beinahe echte Fans einer Kurzkreuzfahrt wurden...
Die Farben der Erholung: Blau und weiß ist die Badetasche, rot und gelb strahlen die Blumen, türkis glitzert der Pool
Eine Reisereportage von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Dies ist die Geschichte eines einfachen Glücks. Es beginnt mit einer Busfahrt. Wir sehen unserem Koffer zu, wie er im Bauch des großen Wagens verschwindet, steigen ein und setzen uns – wie damals beim Schulausflug – in die hinterste Reihe. Und spüren in genau jenem Moment, wie die Erholung beginnt. Wir freuen uns auf die Sommerfrische an der Ostsee. Anfangs können wir den Moment gar nicht richtig zulassen, sind eher skeptisch: Was passiert hier eigentlich mit uns? Warum ist das so? Wir sind kurz davor, mit einem weinroten Reisebus von Hamburg nach Kiel zu fahren. Come on! Was soll das schon groß mit uns machen, wo wir bereits ganz andere Orte der Welt gesehen haben. Ein wenig mehr Aufregung dürfte schon sein…
Für Psychologen jedoch ist das, was wir erleben, keine große Überraschung: Der moderne Büro-Mensch, jene arme Kreatur, die wie zwischen den heißen Oberflächen eines Waffeleisens fest im Griff steckt von PC und Smartphone einerseits und Arbeitsanforderungen der real world andererseits, organisiert längst auch seinen Urlaub minutiös. Fuhr man früher einfach weg und verschwand für drei Wochen, ohne dass jemand erwartet hat, dass man sich zwischendurch melden würde. So bereitet man heute selbst einen viertägigen Kurzurlaub genau vor, arbeitet in den zwei, drei Tagen vor Reiseantritt bis spät in die Puppen. Denn man weiß, dass man zwei, drei Tage nach Rückkehr von der Reise wieder erst spät abends aus dem Büro kommt. So überrascht es nicht, dass uns schon kurz nach Abfahrt des Buses die Köpfe gegeneinander baumeln. Wir dösen weg. Die Erholung beginnt auf den Punkt genau mit der Abfahrt. Das wäre uns beim Schulausflug sicherlich nicht passiert.
Sag zum Abschied leise “Ahoi”: Besuch an Bord, an Land das Marine-Ehrenmal von Laboe, über dem Heck die Flagge Maltas
Dabei gleicht unsere Reise durchaus einem Schulausflug, zumindest was die Dauer betrifft. Vier Tage werden wir auf der Ostsee unterwegs sein, diesmal mit der EUROPA 2. Und diesmal ist nicht die Destination das Ziel, sondern das Schiff, denn die Fahrt selbst kann man bestenfalls als unspektakulär bewerten: Los geht es in Kiel, von da aus schnürt das Schiff in langsamer Geschwindigkeit von Hafen zu Hafen, wir werden in Wismar anlegen und vor Bornholm ankern, wir werden Rügen passieren und vor Ahlbeck auf Usedom liegen. Dann schon geht es wieder zurück nach Kiel. Eine kurze Sommerfrische auf der Ostsee.
Viele Gäste, die jetzt an Bord sind, werden diesen Trip nutzen als Kennenlernreise, verbunden mit der Frage: Ist das das richtige Schiff für eine längere Kreuzfahrt? Zugegeben, was diese Frage betrifft, sind wir voreingenommen. Wir lieben es, auf See zu sein. Boote begeistern uns, Schiffe machen uns glücklich. Und wir mögen den entspannten Luxus der EUROPA 2. Was aber die Kurzkreuzfahrt als Reisephänomen der Gegenwart betrifft, sind wir genau so neugierig wie all die anderen Reisenden. Was kann man erwarten von vier Tagen auf See? Zuerst einmal einen freundlichen Empfang. Kaum kam der Bus zu einem nachhaltigen Stillstand, kaum waren wir aufgeschreckt aus unserer ersten Entspannung, wurden wir begrüßt wie kleine Könige mit kühlenden Tüchern und prickelnden Getränken, mit Blumenbuketts und einer Herzlichkeit, die uns in keiner Form das Gefühl vermittelte, wir wären nur Gäste für wenige Tage.
Der Hafen von Wismar feiert: mit Riesenrad und Würstchenbuden, mit Segelschiffen, Salutschüssen und winkenden Gästen
Nach den nötigen Formalitäten, die heutzutage für jede Reise erforderlich sind, gehen wir an Bord. Das Schiff selbst ist über jeden Zweifel erhaben. Perfekt für alle, die sich immer schon die Frage gestellt haben, warum auf so vielen Kreuzfahrtschiffen nach wie vor jener altbackene maritime Geist gepflegt wird, wo man doch vor allem ein schwimmendes Hotel erwartet? Warum es kaum Schiffe mit Kabinen gibt, die so eingerichtet sind, dass sie dem reduzierten Stil eines Designhotels entsprechen? Und warum nicht auch an Bord von Kreuzfahrtschiffen eine moderne Küche zelebriert wird, statt eines Kapitäns-Dinners? Wer sich all diese Fragen jemals gestellt hat, und mangels befriedigender Antworten bisher keine Kreuzfahrt unternehmen wollte, der könnte sich auf diesem Schiff wohl fühlen.
Für das leibliche Wohl ist gesorgt: Grapefruitsaft zum Frühstück, ein Drink am Abend an einem Tisch mit Meerblick
In Kiel liegt neben der EUROPA 2 der dunkelblaue Rumpf der “Mein Schiff 2″. Sie ist 260 Meter lang, 32 Meter breit und bietet Platz für 2000 Passagiere. Unser 40 Meter kürzeres und sechs Meter schmaleres “Boot” hat rund 500 Passagiere an Bord. Und gefühlt alle stehen jetzt an Achtern um der großen Schwester einen Salut zu winken – da sich das Schiff vom Kai löst und langsam aus dem Hafen schiebt. Die Signalhörner tröten um die Wette. Eine Fähre, die gerade aus Schweden eintrifft, stimmt in das Konzert mit ein. Irgendwie haben maritime Traditionen doch auch einen gewissen Charme. Eine Stunde nach “Mein Schiff 2″ stechen auch wir in See. Es ist ein milder, norddeutscher Sommerabend. Und wir als Norddeutsche wissen um die ungeheuerliche Dimension der Wortpaarung “milder, norddeutscher Sommerabend”. Deshalb genießen wir die Ausfahrt umso mehr. Wie sich das Schiff vorbei schiebt an Werften und Docks, an Marinas und Badebuchten, am Marine-Ehrenmal von Laboe und hinaus in die Weite der Ostsee, die im Vergleich zu manchem Ozean eher bescheiden sein mag, sich an einem solchen Tag aber groß und verheißungsvoll anfühlt.
Wir lagen vor… Bornholm: Mit Rettungsbooten pendeln die Gäste zwischen Insel und Schiff. Wenn die Brücke offen ist für Besuch, dürfen die Gäste – unter Aufsicht von Kapitän Ulf Wolter – schon mal das Typhon betätigen. Zum Ablegen: drei lange Töne. An Tagen mit Landgang hat man auf dem Sonnendeck mit Whirlpool noch mehr Platz und freut sich auf das leuchtende Gemüse im Restaurant “Tarragon”
Am ersten Abend essen wir in der Sushi Bar “Sakura” (mit großartigen Inside-Out Rolls), am zweiten im französischen Spezialitäten-Restaurant “Tarragon” (das Steak Tatare ist göttlich), am dritten im überraschend überzeugenden Hauptrestaurant der EUROPA 2 dem “Weltmeere” (Wieso überraschend? Weil man gemeinhin vom Hauptrestaurant nicht so viel erwartet, doch überzeugen gerade hier die Speisen auf ganzer Linie.), und schließlich lassen wir uns im “Serenissima” nieder (hervorragende Zutaten, überzeugende Kochkunst). Spätestens am letzten Abend kommen dann erste Zweifel auf an dieser Reiseform: Sieben Restaurants gibt es an Bord dieses Schiffes, wie viel Sinn macht es da, nur vier Tage an Bord zu sein? Wie kann man zurück an Land gehen, ohne die anderen getestet zu haben?
Und wir empfinden einen seltsamen Phantomschmerz. Den wir schon am Tag des vorherigen Ausflugs empfunden hatten. Das Wetter war schön aber windig als das Schiff vor Usedom den Anker fallen ließ, die Sonne blitzte auf der kabbeligen See. Wir bestiegen eines der Boote, es brachte uns zur Insel für einen Strandspaziergang. Der dauerte genau 15 Minuten. Dann ließen wir uns in den Sand fallen, die Augen blinzelten in die Sonne. Ist das nicht der wahre Luxus einer solchen Reise – von Strand zu Strand zu fahren, den Moment zu leben, und abends geht es wieder zurück an Bord? Auf zum nächsten Strand… Und das war es. Eben nicht, auf zum nächsten Strand. Auf nach Hause. Wie schade eigentlich, dass dies nur eine Kurzkreuzfahrt ist, denn so langsam kommen wir in den Groove einer Seereise.
Baywatch am Strand von Ahlbeck: Statt Pamela Anderson und David Hasselhoff kommt ein Rettungsboot zu Wasser
Am letzten Abend wird zur Poolparty geladen. Eine Band spielt, wir tanzen ein wenig, tauschen uns aus über die vergangenen Tage. Phänomenal war das Gin-Tasting. Im “Herrenzimmer”, einer der Bars der EUROPA 2, haben wir sechs sehr verschiedene Gins probiert – aus Deutschland, Frankreich, England, Spanien und den USA. Sehr stimmungsvoll war der Aufenthalt in Wismar, es wurde ein Hafenfest veranstaltet, Karussells waren aufgebaut, ein Shanty-Chor sang, und Kapitän Ulf Wolter wurde eine Plakette zum Erstanlauf geschenkt. Vielleicht sind wir doch ein wenig maritim-romantisch? In der Nacht laufen wir wieder in Kiel ein. Obwohl die Poolparty noch ein wenig länger gedauert hat, und wir noch eine ganze Weile in der “Sansibar” mit anderen getrunken und gescherzt haben, waren wir zu müde um wach zu bleiben für die Einfahrt in den frühmorgendlichen Hafen. Dabei hatten uns doch einige Gäste empfohlen, noch ein paar Stündchen dran zu hängen, denn es sei besonders schön – bei Sonnenaufgang hinein zu fahren nach Kiel. Wieder etwas, das wir verpassen. Wir müssen unbedingt eine längere Reise machen. Jetzt sitzen wir beim Frühstück und schauen hinab auf den Platz vor dem Cruiseterminal. Rote Busse rangieren sich in Position. Gleich wird wieder unser Koffer verstaut. Doch diesmal träumen wir von den Tagen auf See. Und so endet unsere Kurzreise ins Glück vor allem mit der Sehnsucht nach ihrer Verlängerung.