Überraschungsreise mit MS EUROPA: Demokrat am Ruder
Überraschungsreise mit MS EUROPA: Start und Ziel stehen fest. Los geht es in Istanbul, die Kreuzfahrt endet in Venedig. Über den Kurs entscheiden die Gäste im EUROPA-Parlament. Der PASSAGEN BLOG berichtet über dieses besondere Reisekonzept. Inzwischen hat die EUROPA im Zielhafen fest gemacht – und wir treffen Kapitän Mark Behrend zu einem abschließenden Interview: Wie bewertet er die Reise? Und welche Häfen hätte er gewählt, wäre er Gast im EUROPA Parlament gewesen?
Venedig! Eine der schönsten Einfahrten, besonders für ein kleines Kreuzfahrtschiff wie die EUROPA, die sich wie eine Yacht in das bezaubernde Stadtbild einfügt. Hier endet die Überraschungsreise der EUROPA. Es war eins spannendes Abenteuer. Zu einem abschließenden Gespräch treffen wir Kapitän Mark Behrend in seiner Kabine.
von Nick Edermann und mit Bildern von Christiane Volgmann
Eine außergewöhnliche Reise geht zu Ende. Die EUROPA hat Venedig erreicht, den Zielhafen dieser Reise. Außer diesem war nur der Start-Ort Istanbul festgelegt. Über die weiteren Anläufe und die damit verbundenen Routen bestimmten die Passagiere im EUROPA-Parlament. “Nicht wir überraschen Sie, sondern Sie uns liebe Gäste”, hatte Kapitän Mark Behrend beim ersten Wahldurchgang gesagt. Anfangs gab es auch skeptische Stimmen, doch mit der Zeit wuchs der Respekt gegenüber den Verantwortlichen für dieses Reisekonzept, die mit großem Engagement und ebenso großer Objektivität die ausgearbeiteten Routen präsentierten. Wir treffen Kapitän Mark Behrend nach Ankunft in Venedig auf seiner Kabine.
Am Ende der Reise sind nun alle Entscheidungen gefallen. Das Schiff liegt im Hafen. Es war eine herausfordernde Reise. Ist das Konzept, dass die Gäste entscheiden dürfen, angenommen worden?
Mark Behrend: Die Botschaft ist bereits nach wenigen Tagen angekommen, auch bei den etwas skeptischen Teilnehmern. Es waren ja sehr unterschiedliche Wahlverläufe – von absoluter Mehrheit bei der ersten Runde, fast Einstimmigkeit in Bezug auf Santorin, und dann die recht knappen Wahlen bei der zweiten und dritten Runde, jeweils mit einer relativen Mehrheit. Es ist dann schon spannend zu beobachten, wie die vermeintlich “enttäuschten Wähler” damit umgehen. Ich ziehe hier gerne die Parallelen zur Demokratie. Wir praktizieren das hier und meinen es auch so. Besonders wichtig sind mir die Gespräche mit den Gästen nach den Parlamenten, um Feedbacks zu erhalten, Fragen aufzunehmen, um sie möglichst auch für die große Runde zu beantworten oder Interessen zu eruieren, um sie eventuell bei den nächsten Vorschlägen zu berücksichtigen.
Es gab ja die Vermutung, die Reise sei bereits von Anfang an in drei Varianten fest gelegt worden. Was sagen Sie dazu?
Das hätten wir natürlich machen können. Aber wir haben uns und den Gästen die Flexibilität erhalten, auf Faktoren wie Wetter, Abstimmungen und Feedbacks der Gäste zu reagieren. Wenn wir im Parlament bei einer Stimmungsabfrage “außer der Reihe” zu einem Hafen wie Santorin ein fast einstimmiges “da wollen wir hin!” erhalten, dann hat es dazu geführt, dass wir diesen Hafen als gesetzt bei allen Routenvorschlägen der zweiten Runde eingeplant haben, damit sich nicht daran die Route entscheiden muss, sondern die Gäste anhand der drei weiteren Häfen ihre Wahl treffen können. Diese Mehrfach-Nennungen eines Hafens bei unterschiedlichen Routen halte ich für sehr wichtig, denn sonst würden wir unterschiedliche Highlights auf unterschiedliche Routen aufteilen und die Gäste müssten sich immer FÜR etwas entscheiden und gleichzeitig sich damit begnügen, dass andere Highlights ihnen verwehrt bleiben. Das ist aber nicht das Ziel. Wir möchten so viele Leckerbissen wie möglich bei jeder der vorgestellten Varianten dabei haben, so dass am Ende jede Wahl eine gute ist.
Bringt eine solche Reise für einen Schiffsbetrieb, bei dem in der Regel alles weit im Voraus geplant wird, und viele Regularien zu beachten sind, nicht große Herausforderungen mit sich?
Die Freiheit der Wahl hat natürlich Auswirkungen auf alle Abläufe an Bord. Wir sind zwar mit der Versorgung der Lebensmittel und Bunker für die Reise so ausgestattet gewesen, dass wir auf die anlaufenden Häfen nicht angewiesen waren. Aber dann stellte sich während der Reise dem Hotelmanager die Frage nach der Blumenversorgung, es musste Nachschub geplant werden. Doch wegen der Blumen können wir die Wahlprozesse an Bord nicht beeinträchtigen. Auch andere Abläufe sind stark davon betroffen. die Kollegen aus der Touristik mussten extrem flexibel sein und nach jeder Wahlentscheidung schnellstens reagieren, um bei den Agenturen vor Ort Ausflüge anzufragen und den Gästen entsprechende Informationen kurzfristig zur Verfügung zu stellen. Unsere Chief Purserin hatte die enorme Herausforderung, in kurzer Zeit alle Häfen anzumelden, was üblicherweise wesentlich im Voraus statt findet.
Und wie ist das für den Kapitän, so viel Macht aus der Hand zu geben?
Das hier sagt alles. (Mark Behrend nimmt eine Zeitschrift vom Beistelltisch seiner Kabine und zeigt uns die Aufmacherseite mit der Zeile: “Ich frisst Hirn”.) Viel zu oft geht es im Leben um Befriedigung persönlicher Eitelkeiten. Gebe ich Macht aus der Hand, so binde ich andere stärker mit ein. Es ist spannend, wie die Gäste in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden können, und zu sehen, wie sie damit umgehen. Die Verantwortung bleibt beim Kapitän. Die Kunst dabei ist die Zügel locker zu lassen. Für mich als Führungskraft ist es schön zu sehen, wie alle Zahnräder ineinander greifen, wenn es drauf ankommt, und dass ich ein leidenschaftliches Team habe, das für die Sache brennt und viel Begeisterung aufbringt.
Dazu gehört aber auch eine große Portion Mut und enorme Flexibilität. Sind Ihnen die Eigenschaften vor allem aus Ihrer Zeit als Kapitän der Expeditions-Schiffe von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten vertraut?
Ja, im Expeditionsbereich lernt man schnell mit wechselnden, nicht vorhersehbaren Situationen umzugehen. Was ich bei dieser Reise vor allem spannend finde, ist die Diversität. Es gibt viele Möglichkeiten und Optionen und viele Meinungen. Diversität ist in jeder Hinsicht bereichernd. Das Leben wird lebenswerter durch Querdenker und Grenzgänger. Dafür gibt es in der heutigen Zeit teilweise wenig Raum.
Sie haben ja selbst auch das Zeug zum Querdenker, als Sie etwa eines Abends beim Essen eine Durchsage machten, dass dieser Sonnenuntergang viel zu wunderbar sei, als dass man ihn nur von der Backbordseite genießen dürfe, deshalb würden Sie das Schiff nun wenden lassen. Was ist in solchen Momenten Ihr Antrieb?
Ich möchte gern meine Gäste mit Dingen überraschen, die sie nicht erwarten, die Ihnen aber Freude machen und Ihnen vermitteln, dass wir sie wertschätzen. Das sind Momente, an die sich jeder gern erinnert.
Was ist das Fazit zu Ihrer ersten Überraschungsreise?
Es war eine gelungene Reise. Fahrtgebiet und Jahreszeit waren perfekt, um eine solche Reise durchzuführen. Die Vorbereitungen aus Hamburg mit den Kollisionslisten und den Routen-Optionen waren eine gute Grundlage für die weitere Planung an Bord. Die Expertise unseres Lektors Knut Edler von Hofmann und Touristikmanagerin Sonja Schwalbe zu den möglichen Zielgebieten waren bei den Planungen entscheidend und essentiell. Ich kann mir sehr gut vorstellen auch in Zukunft wieder eine Überraschungsreise zu fahren.
Zum Abschluss ein Test: Wie hätte Mark Behrend wohl gewählt, wenn er nicht als Kapitän, sondern als Gast am Europa-Parlament teilgenommen hätte?
Bei der ersten Wahl hätte ich für Route B gestimmt, Patmos, Rhodos, Marmaris. Bei der zweiten für Gytheio, Saranda, Kotor. Und beim dritten Parlament für Blau: Kotor, Hvar, Sibenik, Opatja und Riejka, Krk.
Also ist die Überraschungsreise gelungen, weil es oft genug nicht dahin ging, wo der Kapitän gern hin gefahren wäre?
Das stimmt. Aber ich komme gut mit Mehrheitsentscheidungen klar – und bin ein großer Freund der gelebten Demokratie.
Die Überraschungsreise endet am 10. Mai. Nachlesen können Sie die Berichte im PASSAGEN BLOG in dieser Kategorie mit Reisen der EUROPA. Auf der Website von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten finden Sie weitere Informationen zur Wunschreise mit der EUROPA. Auf der nächsten Kreuzfahrt, bei der die Gäste den Kurs bestimmen können, tagt dann das EUROPA 2-Parlament – während der Überraschungsreise mit der EUROPA 2 von Istanbul nach Piräus.