Zwischen den Kontinenten: Transatlantik mit MS HANSEATIC
Während einer Schiffsreise von Rio de Janeiro nach Dakar erleben die Gäste eine zehntägige Auszeit auf den endlosen Weiten des Meeres und passieren dabei eine sagenumwobene, imaginäre Linie. Margit Kohl, Reisejournalistin und langjährige Autorin der Süddeutschen Zeitung, begleitet die HANSEATIC auf ihrer letzten Atlantik-Überquerung
von Margit Kohl (Text und Fotos)
Im Meer spiegele sich der Himmel, heißt es. Doch wer das behauptet, sieht nicht genau hin. Schon unter Ozeanblau hat jeder einen anderen Farbton vor Augen oder zumindest viele verschiedene Nuancen. Ganz zu schweigen von all dem, was man sonst noch alles mit dem Meer verbinden kann, wenn man mit einem Expeditionsschiff wie der HANSEATIC den Atlantic überquert.
„Siehst Du ihn schon?“, fragt eine Dame mit wallender Haarmähne. Ihre Locken wirbeln im Wind und scheinen ihr dabei die Sicht zu verdecken. „Wen, den Äquator?“, fragt ihr Begleiter, ein komplett in Weiß gekleideter Herr, der ihr wie zum Beweis ein Handyfoto präsentiert: 0° 0′ 0” zeigt der Breitengrad der Satellitenkarte, die er gerade abfotografiert hat. „Nein, Neptun”, antwortet sie. Schließlich gilt der Äquator bisweilen auch als Heimat von recht seltsamen Wesen, die immer dann auftauchen, wenn ein Schiff von der Süd- auf die Nordhalbkugel oder in umgekehrter Richtung wechseln will.
Mythos Transatlantik: Auf der HANSEATIC hat die Äquatortaufe wieder Stil und Würde
Schon allein mythologisch betrachtet, ist der Äquator mehr als nur eine imaginäre Linie. Wer ihn zum ersten Mal auf See überquert, egal ob Besatzungsmitglied oder Gast, entkommt für gewöhnlich einer Äquatortaufe nicht. Der Brauch hat seinen Ursprung in der Zeit der Entdeckungsreisen, bei denen man vor dem Überqueren des gefürchteten Äquators keine Taufe im religiösen Sinn erfuhr, sondern eine Art Initiationsritual, bei dem Mut und Gläubigkeit bekräftigt werden sollten. Schließlich herrschte vor den Fahrten portugiesischer Entdeckungsreisender die weitverbreitete Meinung, die Äquatorregion sei zu heiß, um sie zu durchqueren und müsse unweigerlich mit dem Tod enden.
Weil wir natürlich heute wissen, dass dem nicht so ist, malträtiert man nun stattdessen Äquator-Neulinge mit allerhand Mutproben, die quasi jene Zeit der Entdecker wieder aufleben lassen sollen. Einige Besatzungsmitglieder schlüpfen etwa in die Verkleidung von Neptun und seinem Gefolge, um die Täuflinge zu reinigen. Meist muss dann ein stinkender Fisch geküsst und das Einseifen mit nicht minder übelriechenden Substanzen erduldet werden, bevor im Anschluss nicht nur reichlich Wasser, sondern auch ebenso reichlich Alkohol fließt.
Bei der Abschiedstour über den Äquator muss dies auf der HANSEATIC zum Glück niemand über sich ergehen lassen, will man doch der Zeremonie wieder Stil und Würde geben. Weshalb sonst sollte die Dame mit der Lockenmähne schon sehnlichst nach Neptun und seinem Gefolge Ausschau gehalten haben? Wie viele andere Passagiere hat auch sie ein selbstgefaltetes Papierschiffchen mit Wünschen beschriftet, um es der Meeresgöttin Yemanya und ihrer Hohenpriesterin zu übergeben. Wenn Yemanya ihre Wünsche erfüllt, werden die Wellen des Meeres die Papierschiffchen irgendwann verschlingen, lehnt sie die Bitten ab, werden die Bötchen an Land zurückkehren. Letzteres dürfte so gut wie unmöglich sein. Schließlich befinden wir uns 1733 Seemeilen von Rio de Janeiro und 1035 Seemeilen von Dakar entfernt. Ein guter Tag also, sich etwas zu wünschen.
Die Schiffchen schwimmen alsbald davon und mit ihnen ein fester Halt, den man irgendwo auf den unendlichen Weiten des Ozeans ausmachen könnte. 2770 Seemeilen sind es von Rio de Janeiro bis nach Dakar. Zehn Tage nichts als Meer. Und weil sich das kaum jemand wirklich vorstellen kann, zieht Kapitän Axel Engeldrum einen Vergleich heran: „Stellen Sie sich vor, Sie fahren von Hammerfest am Nordkap bis nach Sizilien. Aber nicht im Porsche, sondern mit dem Mofa. Fast zehn Tage lang ohne Stopp mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde.“
Da ist freilich eine Fahrt mit dem Kreuzfahrtschiff erheblich angenehmer. Zehn Tage süßes Nichtstuns. Auf dem Sonnendeck ruhen, danach kurz im Whirlpool entspannen, um sich dann in aller Ruhe auf das mehrgängige Dinner vorzubereiten. Die Vorräte scheinen nie auszugehen, selbst dann nicht, wenn das Schiff aus der Antarktis kommt, wo es nun kaum Frischwaren einzukaufen gibt. Küchenchef Tobias Schnieders bleibt gelassen, schließlich sind bei ihm selbst empfindliche Salate noch nach drei Wochen knackig frisch. Wer das im eigenen Kühlschrank daheim mal versucht hat, weiß, warum Schnieders seine Spezialeinheit die Salatflüsterer nennt. „In Boxen bei 0 bis 2 Grad gestapelt und von feuchten Tüchern bedeckt, werden bei der täglichen Salatkopfpflege welke Blätter aussortiert. Bis zum Ende muss man mit etwa 30 Prozent Schwund rechen”, sagt der Küchenchef.
Wer das für dekadent hält, hat nichts begriffen. Denn ums bloße Konsumieren geht es hier am allerwenigsten. Wenn schon, ums pure Genießen. Und um die Möglichkeit, allen Luxus verfügbar zu haben, um ihn schließlich großherzig zu ignorieren. Tai Chi oben auf dem Sonnendeck? Ach, da ist es gerade so windig. Hinunter in die Explorer Lounge zum Stretching? Das ist doch so anstrengend. Lieber sitzen bleiben und einen viel großartigeren Programmpunkt genießen: den Atlantik beobachten. Wasser und Wolken – jeden Tag sehen sie anders aus.
Mythos Transatlantik: Der Ozean ist manchmal so tiefblau, als hätte jemand Tinte ausgegossen
Der Ozean ist manchmal so tiefblau, als hätte jemand Tinte ausgegossen, ein anderes Mal wirkt er bleigrau und bedrohlich. Weiße Gischt sprüht hoch und fliegt davon. Schnell dahin ziehende Wolkenbänder bilden plötzlich Formationen, die einen an Geisterreiter aus dem berühmten Cowboy-Song von Stan Jones erinnern, den die meisten in der Interpretation von Jonny Cash kennen: Man müsse sich in Acht nehmen, dass man nicht auf ewig mit den Geisterreitern mitreiten müsse, um diese Teufelsherde in diesem unendlichen Himmel einzufangen, heißt es da.
Während wir die Geister lieber ohne uns weiterziehen lassen, wird es Nacht, und Sicherheitsoffizier Falk Zachau erklärt den Gästen den Sternenhimmel. So erfährt man, dass manche Sterne, die uns hier noch leuchten schon längst nicht mehr am Leben sind, weil ihr Licht einen so unermesslich weiten Weg durchs All zurücklegen muss, bis es uns endlich erreicht. „Wäre unsere Sonne erloschen, würde es auf der Erde erst nach acht Minuten dunkel“, sagt Zachau.
Wie beruhigend, dass einen an Bord keine schlechten Nachrichten erreichen, denn die Mobiltelefone bleiben an Bord meist ausgeschaltet. Was passiert gerade in Europa? Alles völlig egal. Hier verfällt man irgendwann in diesen tiefenentspannten Zustand, in dem man ohne jegliches Zeitgefühl auf den Horizont hinausblickt und die Gedanken dahin gehen, wohin sie wollen. Denn hier hat die Welt sieben Decks und einen orangefarbenen Schornstein.
Reisen mit den Expeditionsschiffen von Hapag-Lloyd Cruises
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